Unsicherheit

 

Immer mal wieder werde ich gefragt, wie man einen unsicheren Hund sicherer, souveräner „kriegt“.

 

Nun: Genau wie einen Menschen!

 

Manche Menschen bekommen Schweißausbrüche wenn sie vor – sagen wir – 1000 Zuhörern eine Rede halten sollen. Bei anderen passiert das schon, wenn sie erwägen, sich bei einer Diskussion auch einmal zu Wort zu melden. Manche Menschen können auf Parties ausgelassen tanzen und feiern. Wenn sie zu Beginn der Party niemanden kannten – nach zwei Stunden kennen sie alle und haben einen Riesenspaß. Andere stehen um Mitternacht immer noch am Rand und halten sich an ihrem Glas fest.
 

Manche Menschen stehen für ihre Interessen ein, andere meiden jeden Konflikt.

 

Einem unsicheren Menschen könnte man zu Rhetorikkursen raten, zu Kommunikationskursen, Benimmkursen, Flirtkursen, Tanzkursen, Selbstbewusstseins-Aufbau-Kursen, einer Psychotherapie und so weiter und so fort.
 

Trotz aller Mühen werden nicht alle Menschen das Ziel solcher Kurse erreichen: Nicht jeder wird zum Partylöwen, manche bleiben schüchtern. Und nicht jeder will überhaupt Reden halten oder auf Parties gehen.

 

Und Hunde sind auch nur Menschen!

 

Ihr Selbstbewusstsein lässt sich stärken, souveränes Auftreten lässt sich üben. Aber wie beim Menschen gibt es Grenzen, die wir respektieren sollten.

 

Ich für mein Teil habe kein Problem damit, vor anderen Menschen zu sprechen. Das Lampenfieber hält sich in Grenzen und ein paar Rhetorikkurse haben auch nicht geschadet. Geht es aber darum, bei einer Party „small zu talken“, schicke ich jederzeit andere vor: Da bin ich stieselig und werd’s auch bleiben!

 

Ob und wann Unsicherheit beim Hund ein Problem ist, liegt sozusagen „im Auge des Betrachters“.


Umweltunsichere Hunde zum Beispiel neigen dazu, sich stark an ihrem Menschen zu orientieren. Die „fragen“ regelmäßig „darf ich das?“ und zeigen wenig Neigung, zu privaten Ausflügen aufzubrechen. Das kann gemeinsame Unternehmungen sehr erleichtern!

 

Sozial unsichere Hunde kommen häufig sehr gut durch’s Leben, indem sie sich einfach indifferent / unauffällig benehmen: „Ich bin nicht da, Du bist nicht da.“. Das kann so gut funktionieren, dass ich mich schon wieder frage, ob es sich nicht um ein ziemlich souveränes Verhalten handelt.


Ein Hund, der sich vor jedem anderen auf den Rücken wirft, muss übrigens nicht unsicher sein: Es gehört schließlich eine Menge (Gott)vertrauen dazu, sich so hinzuschmeißen und fest daran zu glauben, dass einem nix passiert.

 

Viele unsichere Hunde „leiden“ jedoch „leise“. Das sind die Kandidaten, die nur die Rute klemmen und sich mit „Oh, Scheiße, oh, Scheiße“ auf der Stirn durch’s Leben drücken.
 

Solche Hunde haben Probleme, verursachen aber keine, weswegen sie häufig auch keine Hilfe bekommen.

 

Leidet der Hund „laut“, kläfft, schnappt und schießt nach vorne, bereitet er Probleme. Dann verlangt der Mensch nach souveränem, gelassenem Verhalten.
Dann möchte der Mensch auf den Hund „einwirken“, erwirken, dass der Hund bestimmte Verhaltensweisen unterlässt.

 

Wäre man böswillig, könnte man geradewegs behaupten, ein souveräner Mensch kommt damit klar, dass sein Hund sich ab und zu danebenbenimmt...Aber erstens sind wir nicht böswillig und zweitens respektieren wir, dass auch Menschen ihre Grenzen haben!

 

Im Folgenden werden wir Möglichkeiten aufzeigen, wie der Mensch das Selbstvertrauen seines Hundes stärken kann, wie er ihm Sicherheit bieten kann und welche Strategien es gibt, schwierige Situationen zu bewältigen. Trotzdem möchten wir dafür plädieren, die Grenzen des Machbaren zu akzeptieren. Bei Mensch und Hund!

 

Wie gewinnt man Sicherheit, wie entwickelt man Selbstvertrauen, wie erlernt man souveränes Verhalten?

 

Regeln bieten Sicherheit!

Stellen Sie sich vor, Sie treten eine neue Stelle an.
Der Pförtner wünscht Ihnen gutes Gelingen und lässt Sie auf’s Firmengelände. Sie suchen herum und fragen sich durch, bis Sie das richtige Gebäude, das richtige Stockwerk gefunden haben. Dort suchen Sie nach einem Arbeitsplatz, der unbenutzt aussieht und der Ihre sein könnte. Es duftet nach Kaffee, aber Sie wissen nicht, woher Sie welchen bekommen könnten. Außerdem haben Sie noch nicht herausgefunden, wo die Toilette ist.

 

SCHNITT!

 

Stellen Sie sich vor, Sie treten eine neue Stelle an.
Beim Pförtner werden Sie von einem Kollegen abgeholt, der Sie zu Ihrem Arbeitsplatz bringt und Ihnen auch die Kollegen und Kolleginnen vorstellt.

 

Er führt Sie herum und zeigt Ihnen Kopierraum (keine privaten Kopien!), Toiletten und Kaffeeküche. Sie dürfen sich Kaffee nehmen, müssen dann aber in die Kaffeekasse einzahlen und Ihre benutzten Tassen selbst spülen. Ihnen wird erklärt, unter welchen Bedingungen Sie das Telefon privat nutzen dürfen, wann Mittagspause ist und wer wen in den Pausenzeiten vertritt. Regeln über Regeln...
 

Trotzdem werden Sie sich vermutlich mit der zweiten Variante besser fühlen. Entspannter. Sicherer! Weil Sie sich nicht andauernd fragen müssen, ob das, was sie tun, richtig oder falsch ist.

 

Einem Hund, der in eine neue Familie kommt, geht es nicht anders!
Er wird sich umso sicherer fühlen, je transparenter und eindeutiger die Spielregeln sind.

 

Menschen und Hunde fühlen sich sicherer, wenn sie das Verhalten ihres Gegenübers vorhersehen können. Stellen Sie sich ihren Lebenspartner vor: Wenn Sie nie wissen, ob er herzlich lachen, Sie in seine Arme schließen oder aber Geschirr nach Ihnen werfen wird, können Sie nie entspannt „Sie selber“ sein.

 

Sozialpartner geben Sicherheit!

Ein Beispiel: Sie sind mit Ihrem pubertierenden Hütehund-Rüden unterwegs, als der Biker aus der Nachbarschaft in Lederkombi und mit Helm auf dem Kopf auf Sie zukommt.
Was Ihr Hund denkt: „Alien Alarm! Der Typ hat kein Gesicht! Kämpft um Euer Leben!“.

Ihm jetzt mit sanfter Stimme zu erklären, dass Freund Alien ganz harmlos ist, wird ihm nicht weiterhelfen.
 

Ein energisches „Halt die Klappe!“ aber noch viel weniger!

 

Wer an Sicherheit gewinnen soll, dem muss ich Sicherheit geben!

Nicht mein Hund muss also mutig sein, das erledige ich für ihn: Ich nähere mich dem „Alien“, nehme Kontakt auf und komme lebend wieder. Mehr noch: Ich bitte den Biker, seinen Helm ab- und später vor den Augen meines Hundes wieder aufzusetzen.
 

Wer versteht, wie der Kugelkopf mit dem fehlenden Gesicht zustande kommt, muss sich nicht mehr fürchten!

 

Dieses „Sicherheit geben“ ist jedoch nicht einfach eine mentale Übung für den Menschen!
Die Gleichung „Ich habe ihn an der Leine = ich gebe ihm Sicherheit“ geht nicht automatisch auf.

 

Jeder Mensch eines leinenaggressiven Hundes, der diesen regelmäßig mittels gestraffter Leine an anderen Hunden vorbeiführt (?), wird – wenn er ehrlich ist – bestätigen, dass sein Hund durch dieses Procedere nicht souveräner wird.

 

Und auch Hunde, die an der Leine durch beängstigende Situationen geschleift werden, kommen ganz offensichtlich nicht zu der Erkenntnis, dass alles halb so schlimm war.

In beiden Fällen begeht der Mensch stattdessen einen Vertrauensbruch: Er nimmt das Problem seines Hundes durchaus wahr, hilft ihm aber nicht, es zu bewältigen.

Sicherheit gebe ich, indem ich meinen Hund aktiv entlaste: Eine Gefahr nähert sich: Wir weichen gemeinsam aus!

 

An diesem Punkt höre ich regelmäßig „damit bestätige ich doch die Angst!“.
Würde ich mit einem Aufschrei des Erschreckens zur Seite springen, wäre das sicherlich der Fall. Indem ich aber in aller Ruhe einen Bogen laufe, signalisiere ich meinem Hund „ich habe dein Problem erkannt und ich biete dir einen Lösungsweg an“.

 

„Sich verstanden fühlen“ ist der erste Schritt in Richtung Vertrauen

 

Eine Gefahr nähert sich: Ich springe in die Bresche und teste aus, wie groß sie tatsächlich ist.Flatternde Planen zum Beispiel können sehr sehr unheimlich sein!
Meinem Hund jetzt zu erzählen, dass alles in Ordnung ist, bringt ihn nicht weiter. Auch wenn es uns manchmal so vorkommen mag: Hunde verstehen nicht, was wir sagen!

Sie verstehen aber sehr wohl, was wir tun.

 

Ich lasse also meinen Hund warten und nehme die Gefahr in Augenschein, untersuche, berühre sie. Möchte mein Hund nun doch näher kommen, kann er das tun, anderenfalls laufen wir wieder einen Bogen.

 

Sollte ich meinen Hund in dieser Situation locken?
Gegenfrage: Vor Ihnen liegt ein Gegenstand, der z.B. eine Bombe sein könnte.
Der hinzu gerufene „Spezialist“ befasst sich jedoch nicht weiter mit dem verdächtigen Gegenstand, sondern versucht, Sie dazu zu bewegen, sich ebenfalls zu nähern. Womöglich bietet er Ihnen Geld dafür.

 

Gehen Sie hin?

Oder fühlen Sie sich womöglich sicherer, wenn er sich konzentriert mit dem Gegenstand Ihrer Angst befasst, anstatt Faxen zu machen?

 

Erkennen, dass der andere sich dem Problem kompetent widmet, ist der zweite Schritt!

 

Eine Gefahr nähert sich: Ich vertreibe sie!
Ganz egal, ob ein Mensch meinen Hund bedrängt, ein anderer Hund ihn belästigt oder ein herannahendes Pferd ihm bedrohlich erscheint, ich positioniere mich zwischen ihm und der vermeintlichen Gefahr. Ich behalte die „Gefahr“ im Auge, stoppe sie und schicke sie ggf auch weg.

 

Wir alle kennen die „Oooooooch, vor mir brauchst du doch keine Angst haben“ – Sager, die Überbeuger und Partout-Streicheln-Woller.
 

Wenn es nur irgendwie geht: Stellen Sie sich vor Ihren Hund. Sprechen Sie denjenigen an, sorgen Sie dafür, dass er SIE ansieht. Stoppen Sie ihn mit erhobener Handfläche und sprechen Sie die Zauberworte: „Bitte sehen / sprechen / fassen Sie meinen Hund nicht an!“!

Für einen unsicheren Hund ist genau das der Moment, in dem er sich mit einem erleichterten Aufseufzen zurücklehnen kann: Gerettet!

 

Der dritte Schritt: Mein Mensch befreit mich aus der Bredouille!

Ein Hund der gelernt hat, dass sein Mensch ihm Sicherheit bietet, kann sich in dessen Gegenwart auch einmal etwas trauen. Er wird sich zur Not darauf verlassen, dass sein Mensch schon weiß, was er tut.

 

Jahaha, diese Form des Trainings ist anstrengend und lästig für den Menschen, aber weniger verlangen Sie Ihrem Hund auch nicht ab, oder?

 

Und wenn Sie gerade „Niemals, da mache ich mich ja lächerlich!“ gedacht haben, dann haben Sie das Kernproblem erfasst: Es geht darum, soziale Unsicherheiten abzubauen!
Wenn Sie möchten, dass Ihr Hund hier an sich arbeitet, gehen Sie am Besten mit gutem Beispiel voran.

 

Sie sind kein „in die Bresche Springer“? Kein „Fassen Sie meinen Hund nicht an!“ Sager? Akzeptiert!
 

Sie müssen nicht mit dem Kopf durch die Wand! Entscheidend ist, dass Sie und Ihr Hund einen Weg finden, mit dem Sie beide gut klarkommen!

 

Bitte lassen Sie sich im Zweifel dabei helfen, einen gemeinsamen Weg zu finden!

 

Dass der Mensch seine „Führungsposition“ durchsetzen solle, können Sie überall nachlesen. Dies hier ist ein Plädoyer dafür, sie so gut wie möglich auszufüllen!

Neben der Beziehungsarbeit gibt es natürlich auch Beschäftigungsformen, die das Selbstbewusstsein stärken: Erfolg macht selbstbewusst!
 

Erfolg aus Hundesicht ist ein gelöstes Problem, eine erfolgreiche Jagd...
Eine Auseinandersetzung, die man für sich entschieden hat, sicherlich auch, nur zählt die nicht zu den unter Menschen akzeptierten Beschäftigungsformen.

 

Schleifen, Urkunden und Pokale dagegen gelten Hunden nicht viel.

Eine Möglichkeit, Selbstbewusstsein über Training aufzubauen, ist die Arbeit mit dem Futterbeutel (Preydummy).
 

Aus Hundesicht handelt es sich beim Preydummy nicht um ein Spielzeug, sondern tatsächlich um Beute – sozusagen „fliegendes Abendessen“.
Dieses wird (mit steigendem Schwierigkeitsgrad) apportiert, teils in Kooperation mit dem Menschen, teils aber auch als „Knobelei“ oder „Mutprobe“.

 

Einerseits sollte der Preydummy für den Hund so wichtig sein, dass er sich auch einmal selbst überwindet um daran zu gelangen. Andererseits – und wichtiger! – sollte er gelernt haben, dass sein Mensch ihn niemals in’s Verderben schicken würde. „Wohin mein Mensch mich zum Apport schickt, da wird mir auch nichts passieren!“.

 

Jenseits von Lob und Futterbelohnungen bin ich der festen Überzeugung, dass Hunde sehr wohl wissen, wenn etwas gut funktioniert hat, wenn sie einen guten Job gemacht haben. Und ich bin ebenfalls der Überzeugung, dass sie dann stolz auf sich sind! Und auch hieran wächst ihr Selbstvertrauen.

 

Mantrailing, die Suche nach vermissten Personen, nutze ich auch sehr gerne zur Stärkung des Selbstbewusstseins.
 

Schritt eins ist das Erfolgserlebnis: „Ich habe die gesuchte Person gefunden!“
Im weiteren Training werden schrittweise Schwierigkeiten eingebaut: Die Trail führt z.B. an anderen Hunden, spielenden Kindern oder anderen Angstauslösern vorbei.

 

Die Perspektive verschiebt sich: Ziel des Trainings ist nicht das „NICHT tun“. Stattdessen verfolgen Mensch und Hund ein gemeinsames Ziel, das „Störfaktoren“ in den Hintergrund treten lässt.

 

Im Laufe eines solchen Trainings wachsen Mensch und Hund zu einem Team zusammen, welches gemeinsame Interessen verfolgt und bei dem einer sich auf den anderen verlassen kann.

 

Gleichzeitig ist es der Anfang einer echten Beziehung – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!

 


 

 

Iris  Blitz
Hundetrainerin
Lebt heute mit Australian Shepherd Oskar und drei arbeitenden Pyrenäenberghunden auf einem Kastanienhof in Südfrankreich.

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