“Ist ja unglaublich, wie der Hund den Besitzer konditioniert hat…!”

  

– über Kontrolle und Konditionierungen

 “Ist ja unglaublich, wie der Hund den Besitzer konditioniert hat…!”

So durfte ich es in einer Facebook-Gruppe lesen als kritischen Kommentar zu dem Video “mit Tali in Heiligenhafen“.

Was soll ich sagen, der Verfasser dieser Worte hat recht!

Ob Mensch oder Hund, beide müssen mit ihrem Verhalten die Umwelt kontrollieren lernen, ansonsten fällt ihnen das Überleben recht schwer. Verliert man die Kontrolle über sein Leben, über die Dinge, welche um einen herum passieren, ergeht es den Hunden nicht viel anders als uns Menschen. Das “Burn Out”-Syndrom“ z.B. ist in aller Munde und viele Menschen leiden darunter. So mancher Hund, welchen ich draußen beobachte, zeigt ähnliche Symptome. Ob man beim Hund vom Burn Out sprechen kann ich nicht sagen, aber es lohnt sich darüber einfach mal nachzudenken.

 

Zurück zu – mein Hund kontrolliert mich:

  • Er agiert – Er zeigt mir ein Reh an, da er gelernt hat, beim Anblick von Rehen nicht gleich durchzustarten.


Ich reagiere – Ich markiere sein Verhalten mit einem Markersignal und belohne ihn.

  • Er agiert – Er sieht einen Hund entgegenkommen, wendet sich ab, läuft einen leichten Bogen, anstelle loszupoltern


Ich reagiere – Ich markiere sein Verhalten mit einem Markersignal und belohne ihn.

  • Er agiert – Ein Mensch kommt plötzlich um die Ecke; anstelle loszupoltern, da mein Hund eigentlich Probleme mit schnellen Distanzunterschreitungen seitens Menschen hat, hält er kurz inne und nimmt sich zurück.


Ich reagiere – Ich markiere sein Verhalten mit einem Markersignal und belohne ihn.

Kontrolliert mein Hund nur mich? Schaue ich mir andere Mensch-Hunde-Teams an:

  • Ein Hund knurrt einen Artgenossen an und springt in die Leine, er agiert.


Mensch reagiert, ruckt an der Leine/ zischt Worte/ kneift in die Lenden/ nennt einen mit positiver Strafe belegten Negativmarker.

  • Ein Hund soll hinter seiner Bezugsperson laufen, der Hund schwenkt kurz zur Seite aus.Mensch reagiert, zischt/ tritt nach hinten.


Zugegebener Maßen hinkt mein Vergleich etwas. Mein Hund hat gelernt, dass wenn er ein Verhalten zeigt, die Chance sehr groß ist, dafür belohnt zu werden. Also zeigt er es. Gerne. Er weiß, dass seine Bedürfnisse zum großen Teil mit meiner Hilfe befriedigt werden können, wenn er sie schon nicht selbstständig aus der Umwelt befriedigen kann. Mir ist es halt nicht möglich, ihm z.B. “Wild hetzen” erlauben zu können. Ich bin zu einem wichtigen Punkt in seinem Leben geworden.

Der Hund, welcher in die Leine springt und mit einem anderen Artgenossen lauthals kommuniziert tut es nicht, um von der Bezugsperson einen Leinenruck o.ä. zu bekommen. Trotzdem richtet der Mensch sein Verhalten auf die Reaktion des Hundes aus.

Aber – Reaktion, Aktion, alles ist im Fluss und bedingt sich gegenseitig. In dem Moment, in welchem wir mit einem anderen Lebewesen zusammen sind, zusammen leben, geht es nicht anders. Ich habe glücklicherweise die Wahl, welchen der Wege ich einschlagen möchte!

 

 

Ich habe meinen Hund auf diverse Markersignale konditioniert – mich habe ich dabei gleich mit konditioniert. Klassische Konditionierung. Sie erwischt einen irgendwie immer. Mein Gehirn kann sich dagegen nicht wehren. Jedes von mir gegebene Markersignal kommt in meinem Gehirn ebenso positiv an wie beim Hund. Ich brabbel sogar intermediäre Brücken vor mich her, wenn ich selber Dinge auszustehen habe – Blutabnehmen beim Arzt z.B. .

Ich trainiere Entspannungssignale mit meinem Hund – Der leichte Geruch von Lavendelöl und das Nennen des Entspannungssignals wirken auch bei mir in den Momenten, in welchen ich sie anwende. Sehr nützlich in Situationen, welche auch für mich schwerer zu überblicken sind und ich auf ein gut funktionierendes Vorderhirn angewiesen bin.

Gerne verstärke ich das erwünschte Verhalten meines Hundes mit positiver Verstärkung. Mein Hund zeigt ein Verhalten aus eigener Anstrengung, er agiert. Ich füge für den Hund Angenehmes hinzu, etwas, dass ihm Freude bereitet und seine Bedürfnisse befriedigt. Was passiert dabei mit mir? Ich freue mich mit ihm und genieße die Stimmung dabei. Unsere Belohnungsliste ist lang und sie beinhaltet bei weitem nicht nur verschiedene Arten von Leckerlies. So wird es uns beiden nicht langweilig! Bedürfnisse sind vielfältig.

Verstärkung ist ein Prozess und dieser Prozess braucht Zeit. Jedes Mal wenn ich mich freue, dass ich das Verhalten meines Hundes mittels positiver Verstärkung einfangen konnte, verstärkt es auch mein Verhalten. Ich zeige es öfter, bin immer häufiger auf der Suche nach erwünschtem Verhalten! Mein Hund bekommt mit jeder Wiederholung noch mehr Gutes hinzugefügt. Er wird sein Verhalten immer häufiger zeigten; es wird von Mal zu Mal sicherer.

Solange der selbstbelohnende Anteil im gezeigten, bereits erlernten Verhalten gering ist, und das ist es nun manchmal, muss ich, möchte ich es aufrecht erhalten, regelmäßig weiter verstärken/belohnen. Aber mal ehrlich, ist das so schlimm? Ich gönne ihm seine Belohnungen und bin gerne großzügig.

Menschen nehmen sich so häufig das Recht heraus zu strafen, zu hemmen, zu zischen, zu rucken, körperlich zu drohen. Da nehme ich mir gerne das Recht heraus, meinem Hund regelmäßig für sein Verhalten zu belohnen.

Noch etwas zum Schluss:

In dem Moment, in welchem das Verhalten eines Hund durch die Einwirkung seiner Bezugsperson mit einem Leinenruck und/oder Zischen etc. erfolgreich gehemmt wird, wird diese Person es immer häufiger anwenden, da es augenscheinlich in der Situation funktioniert hat. Ob im Anschluss ein gezeigtes Alternativverhalten belohnt wurde, spielt in dem Moment der Hemmung weniger eine Rolle. Das Verhalten auch dieses Menschen wird mit den Wiederholungen verstärkt werden. Die Strafen verselbstständigen sich und nehmen zu. Oder es wird vielleicht heftiger gestraft, wenn es nicht mehr funktioniert. Dass der Hund bei all dem unerwünschten Verhalten, welches gehemmt wird, auch viele erwünschte Verhaltensweisen zeigt, wird dadurch oftmals von seiner Bezugsperson kaum mehr wahrgenommen.

Ich steckte seinerzeit in dieser Falle und würde es fast als Teufelskreis bezeichnen. Dann zeigten mir meine Hunde, dass die “Hemmung” mal nicht so funktioniert, wie ich es all die Jahre gewohnt war. Ich begann zu verzweifeln. Was hätte ich tun sollen? Heftiger in meinen Aktionen werden, so wie es mir empfohlen wurde? Für mich war das keine Option.

Ich danke ihnen von Herzen, dass sie mich dort raus geholt haben und dass es Menschen gab, die mir dabei geholfen hatten und immer noch unterstützend an meiner Seite stehen.

Die Kontrolle über Situationen zu verlieren ist ein sehr unangenehmes Gefühl…

“Es ist ein Unterschied, ob ein Hund seinem Menschen folgt aus Angst wegen eines Fehlers bestraft zu werden oder ob der Mensch der attraktive Mittelpunkt im Leben eines Hundes ist.“

 

Dr. rer. nat. Ute Blaschke-Berthold

 

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